Weiße Nebelschwaden liegen auf dem trüben Wasser und umarmen sanft unser kleines Boot. Nahezu geräuschlos gleiten wir über die spiegelglatte Oberfläche und folgen der Einladung der Wolken in ihre mystische Welt – die Welt des Nationalparks Tortuguero im „Amazonas Costa Ricas“. Es ist ruhig. Vollkommen gebannt lauschen wir in die gespenstische Stille des Moments hinein. Vereinzelte gluckernde Geräusche neben uns lassen unsere Köpfe immer wieder ruckartig herumdrehen. Der Motor heult auf. So gibt er dem Boot kurzzeitig neuen Schub, ehe wir uns wieder friedlich über den kleinen Flussarm bewegen. Immer dichter wird das Grün, das die Ufer säumt und unser Boot zunehmend zu verschlucken scheint.
Reisebericht Costa Rica – Unterwegs im Tortuguero Nationalpark
Plötzlich durchdringen weit entfernte Schreie das Dickicht. Wie ein scharfes Messer zerschneiden die schrillen Töne die in der Luft liegende Spannung. Unsere Blicke wandern angestrengt suchend durch die einfarbige Kulisse. Dann, im Augenwinkel, hoch oben in den Baumkronen, huscht etwas flink über die verschlafene Szenerie. Ein Äffchen! Munter springt es von Ast zu Ast, dicht gefolgt von einem Artgenossen. Blitzschnell ist die Kamera gezückt, da sorgt ein Rascheln wenige Meter entfernt für den nächsten Adrenalinschub. Der Nationalpark Tortuguero krönt eine jede Reise durch das paradiesische Costa Rica mit einer abenteuerlichen Komponente. Es ist die dritte Station meiner Tour durch das beliebte Urlaubsziel in Mittelamerika – der legendäre Vulkan Arenal, einer der aktivsten der Welt, und die Wasserfallgärten von La Paz haben bereits zu entzücken gewusst. Doch der Tortuguero-Park sollte mir mit größten biologischen Vielfältigkeiten und einer der üppigsten Landschaften des Landes besonders magische und unerwartete Momente bescheren.
Das Rascheln im Gebüsch wenige Meter vom Boot verstummt. Mit der wieder eingekehrten Ruhe kämpft sich die allgemeine Anspannung zurück. Während wir uns behutsam der Quelle des Geräusches hinter der Flussbiegung nähern, erscheinen vor meinem inneren Auge bereits Bilder von einem stolzen Jaguar, einem genüsslich mampfenden Faultier und einem ungewöhnlich anmutenden Tapir. Vorfreude und Neugier auf die exotischen Tiere lassen mein Herz wortwörtlich bis zum Halse schlagen. Endlich mittendrin in der abenteuerlichen costa-ricanischen Tierwelt! Und plop! Das nächste Geräusch kann außer mir niemand hören. Mit einem dumpfen Knall bringt ein Reiher, der erstarrt in unsere Gesichter blickt, meine gedankliche Seifenblase zum Platzen. Ein wenig enttäuscht sinkt meine Kamera zurück in den Schoß. Doch viel Zeit für den Frust über die nicht erfüllten Erwartungen räumt mir unsere Rangerin nicht ein. Zielsicher weist sie den Bootsführer an, auf das gegenüberliegende Flussufer zuzusteuern.

Der Zauber des Nicht-Entdeckens im „Amazonas Costa Ricas“
Als wir uns nähern, macht sich ein triumphierendes Lächeln auf ihrem Gesicht breit. Das Stimmengewirr wird lauter, immer mehr Finger zeigen auf das grüne Dickicht vor uns. Meine Augen irren suchend umher und tasten das Ufer mit Blicken ab – dann endlich finden auch sie die Lösung des Natur-Suchspiels: Zwei Leguane halten auf den Ästen vor uns inne. Fasziniert davon, wie sich die perfekt getarnten, reglosen Tiere trotz meiner höchsten Konzentration immer wieder meinem Blick entwinden, erreicht aus der Ferne wieder das Affengeschrei meine Ohren. Einige Vögel stimmen ein, als versuchten sie, dem anbrechenden Tag eine harmonischere Melodie zu verleihen.
Und als mir das nächste gluckernde Geräusch die Krokodile in Erinnerung ruft, die im Gewässer ringsum wohnen, ist jegliche Enttäuschung vergessen. Und mehr sogar: Urplötzlich überkommt mich ein Augenblick völliger Klarheit. Ich bin mittendrin. Ich bin Gast im Wohnzimmer Tausender Lebewesen. Zugegeben, es ist eher der Empfang mit offenen Armen, den ich erwartet habe. Es sind die bekannten Tiere, die ich aus Dokumentationen und der Werbung kenne, die ich zu entdecken gehofft hatte. Doch allein die Gewissheit, in der Welt all dieser Lebewesen zu sein, beschert mir in diesem Moment ein besonderes Gefühl der Demut. Überwältigt packe ich die Kamera weg, lehne mich zurück und lasse mich von all den Eindrücken verzaubern.

Fantasievoll und unliebsam – der Tortuguero Nationalpark
In meinen verbleibenden Tagen im Nationalpark Tortuguero begegnet mir die Magie des Nicht-Entdeckens noch weitere Male. Zunächst sucht sie mich beim Besuch des ehemaligen Holzfäller- und Fischerdorfs Tortuguero heim, das eigentlich nur aus einer mit kleinen Restaurants, Bars und Souvenirshops bunt gesäumten Straße besteht. „Vor zwei Tagen war ein Jaguar nachts im Dorf unterwegs“, erklärt uns unsere Rangerin und zeigt auf einige tiefe Furchen in der Rinde eines Baumes. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Wirkten all die Hinweisschilder zum richtigen Verhalten im Falle einer Begegnung mit einem Jaguar eben noch absurd, so rückt das Szenario im Angesicht der Kratzspuren auf einen Schlag unglaublich nah. Zu nah, entscheide ich, als ich erfahre, dass der Jaguar in besagter Nacht einen Hund gerissen hat.
Mit Blick auf den umliegenden Regenwald begleitet mich fortan eine aufgeregte Anspannung – die auch beim Spaziergang entlang des grün gesäumten Karibischen Ozeans anhält. Am weitläufigen Strand gesellt sich zu diesem Gefühl eine Gänsehaut. Es ist Mai und Schildkröten sind weit und breit keine zu sehen. Doch insbesondere die vom Meerwasser selten umspülten Strandabschnitte sind übersät von unscheinbaren Löchern und Hügeln im Sand – verlassene Schildkrötennester. Während ich den Erklärungen der Rangerin lausche, malt mir meine Vorstellungskraft ein Bild Dutzender an Land kommender Schildkröten und Hunderter frisch geschlüpfter Tiere, die sich ihren Weg in die Unterwasserwelt bahnen.

Und so sehe ich mich an einem menschenleeren Strand auf einmal an einem regelrecht heiligen Ort stehen. Die Magie des Nicht-Entdeckens – vor meiner Costa Rica-Reise hätte ich darüber wohl gelacht, reisen wir doch, um Sehenswürdigkeiten, Tier- und Naturwelten hautnah erleben zu können. Doch während wir den Erlebnissen hinterher – jagen, um sie auf unserer Liste abhaken zu können, vergessen wir zu häufig, dass die Natur ihren eigenen Regeln folgt – und manch eine Entdeckung oder Begegnung eine eigentlich doch eher unliebsame wäre. Die Bewohner des Nationalparks Tortuguero haben mich gezwungen, umzudenken. Sie haben mich gelehrt, dass es nicht immer das Erfolgserlebnis der Entdeckung braucht, um magische Momente zu erleben. Wer sich frei macht von Erwartungen, wer die Perspektive ändert, andere Sinne schärft und die Zügel der Fantasie lockert, der macht Raum für unerwartete Wunder. Der Amazonas Costa Ricas – für mich hütet er weiter Geheimnisse. Und ist somit eine neuerliche Reise wert.
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Autorin: Leonie von der Beeck
Letzte Aktualisierung: 02. Dezember 2021
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