Wie ein Geist streicht der Wind durch die sich neugierig über Sand und Granitblöcke beugenden Kokospalmen, während die Sonne ihr geheimnisvolles Glitzern auf die türkisblauen Wellen wirft. Zu sehen ist an diesem exotischen Ort viel, zu hören wenig – nur das beständige Rauschen des Ozeans scheint die Stille zu füllen. Ist das Meeresrauschen an diesem Ort für die meisten nicht mehr als ein Soundtrack zur Entspannung, flüstert der Ozean anderen Menschen an diesem mystischen Ort gar Jahrhunderte zurückliegende Geheimnisse zu.
Die Seychellen, Ort für Romantiker und Schatzsucher
Mit ihrer unvergleichlichen Landschaft sind die Seychellen für romantische Stunden immer wieder Kulisse der Wahl. Doch so vielfältig die 115 Korallen- und Granitinseln sind, so unterschiedlich sind auch die Gründe, aus denen die Menschen sie bereisen. Denn nicht nur für Romantiker in den Flitterwochen behält die Insel Träume bereit: Auch Abenteurer und Naturliebhaber finden hierher. Von den Seychellen magisch angezogen werden neben Paaren, die sich das Jawort geben, auch Wanderer, Radfahrer, Fotografen, Unterwasserforscher, Taucher und Schnorchler. Und Schatzsucher. Ja, ganz richtig gelesen; auch Schatzsucher.

Einer dieser Goldgräber ist John Cruise-Wilkins. Der englische Geschichtsprofessor ist ein Mann mit einer Mission, deren Extravaganz der Inselgruppe der Seychellen in nichts nachsteht. Der Engländer ist, wie auch schon sein verstorbener Vater Reginald Cruise-Wilkins, der Meinung, dass die Schätze der Seychellen sich nicht auf die zahlreichen Naturwunder – gemessen an ihrer Grundfläche besitzen die Eilande weltweit über den größten Anteil an Naturschutzgebieten – beschränken. Cruise-Wilkins ist – mehr noch – der festen Überzeugung, dass die Seychellen einen wahren Piratenschatz beherbergen. Mag man anfangs noch der Meinung sein, die Seychellen zögen neben Romantikern und Abenteurern auch noch Spinner an, legt sich der Unglaube, ein wenig davon zumindest, hört man zu, was der Schatzjäger zu erzählen hat.
Der Schatz des Piraten „La Buse“
Die Tatsache, dass die Forschungen von Cruise-Wilkins und seinem Vater auf sieben Jahrzehnte gründen, verwandelt Unglauben in Staunen. Das Wort „Mission“ bekommt hier völlig neue Dimensionen. Und genau wie Cruise-Wilkins‘ Forschungen geht auch die zu erforschende Piratengeschichte weit zurück – bis ins 18. Jahrhundert. Genau genommen bis ins Jahr 1720. Denn ab dort wütete der französische Pirat Olivier Levasseur gemeinsam mit seinen 750 Gesellen und wurde zum Schrecken der britischen, französischen und portugiesischen Handelsflotte. Da der gefürchtete Seeräuber seine Diebstähle in Blitzgeschwindigkeit abwickelte und ebenso schnell wieder von der Bildfläche verschwand, nannte man ihn auch „La Buse“, übersetzt „Der Bussard“. Ähnlich wie ein Raubvogel kreiste der Pirat im Seegebiet des Indischen Ozeans.
Zehn Jahre lang kam er wie durch Zauberhand immer wieder ungeschoren davon, ein Jahrzehnt lang perfektionierte der Pirat seine grausigen Fähigkeiten. Vermögen stahl er am laufenden Band, doch wie man langfristig das gute Los an sich riss, davon hatte Levasseur keine Ahnung. Im Jahr 1730 musste er seinem Ende ins Auge blicken; er wurde verhaftet und auf die Insel La Réunion gebracht. Strikt weigerte er sich, den Ort seines vergrabenen Schatzes im Wert von geschätzten 130 Millionen Dollar preiszugeben. „Sie folterten ihn, sie bekamen allerdings nichts aus ihm heraus“, erzählt der ambitionierte Engländer gegenüber der CNN. „Sie gaben ihm einen Stift und Pergament, um das Geheimnis des Schatzes aufzuschreiben. Doch auch das lehnte er ab.“

Wie wichtig Levasseur dieser Schatz wirklich war, darüber braucht nicht spekuliert werden. So warf er kurz vor seiner Hinrichtung ein Pergament in die Runde. „La Buse“ soll an seinem Todestag ein langes Hemd getragen haben, weiß Cruise-Wilkins, unter dem der Seeräuber das rätselhafte Schriftstück versteckte. Kurz vor der Hinrichtung habe der Pirat das kryptische Pergament mit den Worten: „Mein Schatz demjenigen, der dies versteht!“ in die Menge vor dem Schafott geworfen haben.
Eine Familie auf Schatzsuche
Kaum nachdem das Kryptogramm 1949 in die Hände von Reginald Cruise-Wilkins geriet, fand eine Familienbesessenheit ihren Anfang. John Cruise-Wilkins hält sich selbst jedoch keineswegs für besessen – zumindest nicht, wenn er sich mit seinem Vater vergleicht, der nicht scheute, ein kleines Vermögen in seine Suche zu investieren. „Durch die Schatzsuche haben wir schreckliche Schwierigkeiten durchgemacht“, erzählt Cruise-Wilkens der CNN. So musste seine Mutter den Vater in Sachen Geld ständig daran erinnern, dass er eine Familie zu ernähren habe. Abgesehen von Überresten von Pistolen, Schwertern und einigen Münzen ging Reginald Cruise-Wilkins aus seiner Schatzsuche allerdings leer aus. Sein Sohn möchte es nun besser machen. Das war nicht immer so.
Vor dem Tod des Vaters ging John Cruise-Wilkins durch eine Phase, in der er mit der Schatzsuche nichts zu tun haben wollte. „Bevor er starb, wollte ich die Seychellen verlassen“, tut er seine einstige Skepsis gegenüber den verbissenen Forschungen seines Vaters kund. „Später, als er tot war, habe ich alles durchgesehen und mir wurde klar, dass irgendjemand die Schatzsuche fortführen musste.“ Mittlerweile hat Cruise-Wilkens sein Ziel stets vor Augen: Trotz der 290 vergangenen Jahre seit der Hinrichtung des linkischen Seeräubers ist John fest davon überzeugt, dass der Schatz noch nicht gefunden wurde. Wie auch? Nur ein schlecht versteckter Schatz kann ohne Karte gefunden werden! Und wenn man sich den gefürchtetsten Piraten vorstellt, dann traut man ihm alles zu, nur eines nicht: Unüberlegtheit.

Aufgeben ist für den Engländer auf den Spuren von „La Buse“ keine Option. Ganz im Gegenteil sieht er das Ziel immer näher rücken: Schließlich gab es schon Zwischenerfolge. Mysteriöse Markierungen an Felsen in Bel Ombre auf Mahé lassen den Geschichtsprofessor immer sicherer werden, dass genau hier der Schatz auf ihn wartet. „Das Kryptogramm, das La Buse vor seiner Hinrichtung verteilte, besteht aus siebzehn Zeilen griechischer und hebräischer Buchstaben“, gibt der Tagesspiegel Cruise-Wilkens Worte wieder. „Genau solche Zeichen sind in die Felsen am Strand geritzt.“
Der La Buse- und die Naturschätze der Seychellen
Ob auf den Seychellen bald wirklich ein echter Piratenschatz zutage gefördert wird? Das bleibt abzuwarten. Währenddessen lohnt es sich, den Naturschätzen Zuwendung zu schenken. Macht es manche Schätze nicht aus, dass sie nicht gesucht werden müssen, dass sie sich regelrecht vor unsere Füße werfen? Auf den Seychellen beugen sich die Palmen zu uns herunter, das Meer rennt auf uns zu, um unsere Zehen zu küssen und die Sonne wirft ihre langen Strahlen auf unsere Haut. Dichter Regenwald zieht uns in seine Welt aus grüner Mystik und auf dem Aldabra-Atoll kriecht die Riesenschildkröte ganz vorsichtig auf uns zu – und das ganz ohne unser Zutun.
Autorin: Berit Sellmann
Letzte Aktualisierung: 20. April 2021