Kilometerlange Sandstrände, zauberhafte Oasen, grüne Wälder und karge Wüsten, schneebedeckte Berggipfel und faszinierende Königsstädte – all das ist Marokko. Warum Fotograf, Autor und Marokko-Experte Kay Maeritz sich in das Königreich des Westens verliebt hat, wie er die schönsten Fotomotive findet, wann Reisende das Land entdecken und was sie auf keinen Fall verpassen sollten, verrät er in unserem Expertengespräch über Marokko.
ITRAVEL: Herzlich Willkommen. Ich werde mich heute mit meinem Gast Kay Maeritz über Marokko unterhalten. Schön, dass Du da bist, Kay. Du bist einer der bekanntesten deutschen Vortragsredner, hast schon unzählige Bildbände und Reiseführer herausgebracht und bist jetzt auch Experte bei den National Geographic Expeditions. Du kennst im Grunde die ganze Welt, was macht für Dich die Faszination Marokko aus, warum hast Du Dich in dieses Land verliebt?
REISEEXPERTE KAY MAERITZ: Es freut mich auch. Die ganze Welt kenne ich nicht, es gibt noch ganz schön viele Lücken. Aber ich fahre immer wieder gerne in die Gegenden, in denen ich schon war. Und dazu gehört auch Marokko. Marokko kenne ich seit über 30 Jahren und es ist für mich eines der faszinierendsten Länder, weil es sehr viel Eigenes hat. Es hat eine ganz eigene Kultur, ist schnell zu erreichen und lässt Reisende einfach in eine andere Welt eintauchen. Um etwas Vergleichbares zu finden, müsste man sonst bis Indien oder vielleicht Ägypten fliegen. Marokko ist vor der Haustür, man ist schnell in einem anderen Kulturkreis.
Du hast erzählt, Marokko sei ein Land voller Kontraste: Meer, Gebirge, Städte, Dörfer. Sind es auch diese Kontraste, die den Reiz für Dich ausmachen?
Marokko hat einen eigenen Flair, das ist für mich der größte Reiz. Der Kontrast ergibt sich für mich mehr zwischen modernem Leben und Landleben. Es gibt die moderne Großstadt, zum Beispiel Casablanca, mit normalen Straßencafés etc. Aber sobald man rausfährt aufs Land – und da muss man gar nicht weit fahren -, ist man in einer ganz anderen Welt als in einer Großstadt. In einer Welt, die sich über Jahrzehnte kaum verändert hat, seitdem ich Marokko kenne. Und das ist eigentlich das Faszinierende daran, dass man eintauchen kann in diese marokkanische Kultur.

Du warst mit 17 das erste Mal in Marokko – hat sich in den letzten 30 Jahren wirklich so wenig getan? Ist es tatsächlich so ursprünglich, wie Du es damals kennengelernt hast?
Natürlich hat sich in Marokko auch viel verändert. Es gibt jetzt WLAN in jedem Café am Straßenrand, es gibt bessere Straßen. Aber tatsächlich, und das finde ich sehr toll, haben sich die Marokkaner ihre Kultur erhalten. Jedes Mal, wenn ich ein paar Jahre nicht nach Marokko gereist bin, habe ich Angst: „Vielleicht hat sich etwas geändert.“ Aber nein, die Menschen dort laufen immer noch in ihren Djellabas, ihren Trachten, herum und haben ihr Leben, wie sie es früher hatten. Da hat sich sehr wenig geändert. In den Städten ändert es sich schnell, so wie überall auf der Welt. Aber draußen auf dem Land ist es fast gleich geblieben.
Wenn ich an Marokko denke, denke ich an die alten Königsstädte Rabat, Fès, Meknès und Marrakesch, die geprägt sind von ihren verwinkelten Gassen und bunten Märkten. Wie empfindest Du als Fotograf dieses Gewusel?
Das Gewusel kann man kaum aufnehmen, dafür braucht es Film. Was schön ist, ist sich einfach hineinzustürzen, sich treiben zu lassen, gar nicht zu schauen, wo man hingeht. Ich gehe immer irgendwo in die Medina, verirre mich und schaue einfach, was passiert – irgendwo, irgendwann findet man auch wieder heraus. Als Fotograf greife ich dabei die Momente heraus, die speziell sind, die einen schönen Bildaufbau hergeben. Das Gewusel ist schön, aber es gilt, die einzelnen Momente zu finden. Und die findet man tatsächlich en masse, wenn man – am besten mit einem Stadtführer – durch Fès mit seiner wunderbar verwinkelten Altstadt läuft. Marrakesch ist flach, da ist es ein bisschen einfacher. Fès hingegen liegt zwischen den Hügeln, da verirrt man sich viel mehr. In Marrakesch gehts zwar auch im Zickzack durch die Stadt, aber irgendwann findet man sich zurecht und landet in ganz verschiedene Souks: ein Souk, in dem Lampen oder Teppiche gemacht werden, eins, in dem die Färber sind – jeder Stadtteil hat seine eigenen Spezialitäten. Es ist schön, dort hineinzulaufen und einfach zu beobachten und dann eben auch zu fotografieren, wenn es sich ergibt.

Im starken Kontrast zu den größeren Städten stehen die Gebirge – das Atlas-Gebirge und die Gebiete außerhalb der Städte. Ich stelle mir vor, dass lange Zeit erstmal gar nichts kommt, dann kleine Dörfer und karge Landschaft…
Dass da lange Zeit nichts kommt, ist gar nicht so. Wer nach Marrakesch fliegt, was ja sehr beliebt ist, und von dort hinausfährt, ist in zwei Stunden im Hohen Atlas. Man kann also morgens einen Flug nehmen, ist mittags in Marrakesch und nachmittags in Imlil zum Wandern. Oder man sucht sich dort ein Plätzchen zum Übernachten. Man ist dann schon mitten im Hohen Atlas und lebt mit den Berbern. Die Berber sind das Volk Marokkos. Marokko ist nicht arabisch, wie viele bei uns immer glauben. Es gehört zwar zum arabischen Kulturkreis, aber die Marokkaner sind keine Araber, sondern zu über 90 Prozent Berber. Und es gibt gerade mal, je nach Schätzung, ungefähr sieben Prozent arabische Oberschicht, die arabisch ist, arabisch spricht und das Land auch regiert und verwaltet. Aber mittlerweile hat es sich durchgesetzt, dass die Berbersprachen gleichberechtigt sind und es wird anerkannt, dass Marokko, wie alle seine Nachbarländer in Nordafrika, Berberland und kein arabisches Land ist.
Gibt es im Atlas-Gebirge besondere Fotomotive oder wie ist das, wenn Du dort vor Ort auf einer Fotosafari bist?
Es kommt darauf an, wie viel Zeit zur Verfügung steht. Wer genügend Zeit hat und wandern gehen möchte, findet zum Beispiel in Imlil einen wunderbaren Ausgangspunkt. Von dort aus kann man in kleinen Wanderungen die Umgebung, die kleinen Dörfer erkunden und in dieses Leben in den Bergen eintauchen. Das ist immer noch ein sehr hartes, einfaches Leben. Man kann sich das bei uns nicht vorstellen, wie arm die Menschen im Hohen Atlas wirklich sind. Wenn man dort in die Häuser geht, sieht man, dass die Menschen unter allereinfachsten Umständen leben. Im Sommer mag das noch ganz angenehm sein, aber im Winter, wenn die Schneegrenze bis auf 2.000 Meter fällt, dann ist es erbärmlich kalt und die Leute haben keine Heizung. Für uns ist es unvorstellbar, so zu leben.
Es ist vielleicht eine naive Frage, aber von was leben die Menschen dort? Handel?
Nein, die meisten Menschen leben von Viehzucht und Ackerbau in bescheidenem Maße. Rund um die Dörfer gibt es Oasen. Alles was dort wächst, wird in Oasen angebaut, denn wo kein Wasserkanal ist, wächst auch nichts. Jedes Feld wird einzeln bewässert. Wer darüber läuft – oder von zu Hause aus per Google Maps hineinzoomt -, sieht, dass ein Feld vielleicht grün, das Nachbarfeld aber karg ist. Das kommt daher, weil eben nicht genügend Wasser vorhanden ist, um alle Felder zu bewässern.

Das stelle ich mir sehr schwierig vor. Wenn ich an Marokko denke, stelle ich mir die Wüste vor und denke erstmal an Hitze. Aber dann sieht man auch das Atlas-Gebirge mit seinen schneebedeckten Gipfeln. Diesen Kontrast gibt es nicht in vielen Ländern dieser Welt. Ist das auch etwas, das Dir fotografisch einen Anreiz bietet?
Ja natürlich. Ab Dezember ist der Hohe Atlas, der bis zu 4.000 Meter hoch ist, schneebedeckt, die Schneegrenze liegt dann bei etwa 2.500 Höhenmetern. Dann sieht man dieses riesige Bergmassiv und begreift erst, wie groß der Hohe Atlas ist. Das ist einfach faszinierend. Im Frühjahr ist der Schnee zwar weg, aber es ist entsprechend grün unten in den Tälern. Dann blühen die Rosen, die bewässerten Felder erstrahlen grün – und daneben die Wüstenlandschaft, karg, steinig und felsig. Dieser Kontrast ist dann viel stärker, das Nebeneinander absolut faszinierend. Eine sehr schöne Reisezeit.
Also würdest Du sagen, wenn man eine Reise nach Marokko plant, ist das Frühjahr die beste Reisezeit?
Ja, so von März bis Mai. Auch Anfang Mai ist es sehr schön, dann findet die Rosenernte statt. Die Rosen werden beispielsweise zur Herstellung von Parfüm genutzt. Ab Herbst ist ansonsten wieder eine gute Zeit, weil es dann nicht so heiß ist. Im Hochsommer wird es sehr heiß, das ist im Hohen Atlas zwar noch zu ertragen, aber Frühling und Herbst sind dennoch angenehmer. Ich war auch schon öfter im Winter da, dann sollte man sich aber warm anziehen, denn viele Unterkünfte sind nicht beheizt und im Frühstücksraum waren es nur sieben Grad – dann also doch lieber Herbst oder Frühjahr wählen.

Gibt es für Dich einen Ort, der Marokko wirklich ausmacht? Hast Du einen Lieblingsort, an den Du immer wieder zurückkommst, oder ist es das ganze Land, das Dich in seinen Bann gezogen hat?
Tatsächlich es ist nicht ein bestimmter Ort. Marrakesch und Fès sind faszinierend, wenn man Städte sehen will. Ich bin unglaublich gerne unter den Menschen, aber was mich noch mehr fasziniert, ist rauszufahren in die Wüstenlandschaften mit ihren Oasen und Palmentälern. Ins Draa-Tal, wo man einer Oasenlandschaft folgt und es diese alten Lehmburgen und die Festungsdörfer gibt – das finde ich noch faszinierender als die Großstädte. Das Draa-Tal zieht sich rund 100 Kilometer in die Sahara hinein, hinter der Sahara versandet der Draa-Fluss einfach. Am Ende liegt das Erg Chegaga, ein Sandwüstengebiet, das nicht so überlaufen ist, weil es relativ abgelegen ist. Dort kann man dann mit einem Kamel hineinreiten oder auch mit einem Fahrzeug hineinfahren und zelten.

Wenn Du Dir eine Reise vorstellst für jemanden, der noch nie in Marokko war: Gibt es etwas, das man unbedingt gesehen haben sollte, damit man sagen kann „Ich war in Marokko“?
Also auf einer 14-tägigen Tour kann man schon viel sehen. Eine Woche ist ein bisschen knapp, da muss man sich dann für eine Route entscheiden. Der Atlantik, der im Hochsommer sehr schön ist, kommt meistens zu kurz. Es ist zwar kaum zu glauben, dass das Wasser in Marokko mit vielleicht 17 Grad kälter ist als bei uns in der Nordsee. Aber es gibt auch Lagunen, in denen man schwimmen kann. Das Baden ist eine echte Abkühlung, zum Schwimmen aber teilweise wirklich sehr kalt. Ich finde aber auch: Eine Küste hat man in vielen Ländern, aber solch eine Wüstenlandschaft, diese Oasen, dazu der Hohe Atlas, das ist das, was wirklich faszinierend ist. Wer 14 Tage Zeit hat, hat die Wahl: Entweder man fliegt nach Marrakesch und macht die Runde hinter dem Hohen Atlas hoch nach Fès, vorbei an der Todra- und der Dades-Schlucht. Oder man fährt die abgelegenere Südrunde durch das Draa-Tal, runter in den Antiatlas. Das ist dann weniger touristisch und noch wüstenhafter. Aber: Man muss sich entscheiden, beides geht in zwei Wochen leider nicht.
Im Gespräch: Pia Gassner & Kay Maeritz
Letzte Aktualisierung: 04. September 2020