„Wohl spricht man viel von Freiheit für alle, aber man ist gewöhnt, unter dem Wort ‚alle’ nur die Männer zu verstehen“. Diese Worte schrieb die deutsche Publizistin Louise Dittmer 1848 und wies damit energisch auf fehlende Frauenrechte zu dieser Zeit hin. Auch im Jahr 1925 hätten besonders vier außergewöhnliche Frauen diese Aussage wohl sofort unterschrieben: Marguerite Harrison, Blair Niles, Gertrude Shelby und Gertrude Emerson Sen gründeten in New York die „Society of Woman Geographers“ mit dem Ziel, erfolgreiche Frauen weltweit bei Forschungsreisen zu unterstützen und eine Plattform für intellektuellen Austausch zu schaffen. Ein ungewöhnliches Vorhaben in einer Zeit, in der sich Frauen in den USA ebenso wie in Deutschland gerade erst mühsam das Wahlrecht erkämpft hatten. Die Mitglieder der Vereinigung waren Pionierinnen ihrer Zeit und halfen mit ihren erstaunlichen Leistungen dabei, den Weg nicht nur für heutige Forscherinnen und Wissenschaftlerinnen zu ebnen, sondern auch für weibliche Weltenbummler und Reiselustige.

Frauen als Entdeckerinnen – Eine neue Ära in Forschung und Gesellschaft

Für die meisten europäischen und US-amerikanischen Frauen von heute ist Reisen völlig normal. In den 1920er Jahren sah das in weiten Teilen der Welt noch ganz anders aus. Dass Frauen um die Welt reisen und in bislang unbekannte Gebiete vordringen, Dinge schaffen, die noch kein Mensch zuvor erreicht hat, ja sogar wissenschaftliche Ambitionen haben – das war keine Selbstverständlichkeit. Bei der Formulierung der amerikanischen Verfassung 1787 kam den Gründervätern der USA ein politisches Mitwirken von Frauen gar nicht in den Sinn. Die Existenz von Gründermüttern war sozusagen nicht vorgesehen. Jayne Zanglein ist Forscherin an der Western Carolina University und Autorin des Buchs „The Girl Explorers“. Sie sagt gegenüber CNN Travel: „Viele Menschen dachten damals, dass Frauen unbedarfter seien als Männer. Es wurden Witze darüber gemacht, dass ein Mann, der einen Löwen sehe, vorsichtig sei. Eine Frau aber würde bloß sagen ‚Ach, ist der nicht süß?’“.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden jedoch die – größtenteils weiblichen – Stimmen, die die Gleichstellung von Mann und Frau forderten, immer lauter. Schritt für Schritt erfochten verschiedene Frauenrechtsbewegungen nach und nach Erfolge. 1920 dann ein großer Sieg: Fast zeitgleich mit den Deutschen erhielten Frauen in den Vereinigten Staaten das langersehnte Wahlrecht. Die vollständige Gleichberechtigung von Mann und Frau ist ein bis heute andauernder Prozess. Zu dessen Fortschritt haben die weitgereisten Mitglieder der „Society of Woman Geographers“ wohl nicht unwesentlich beigetragen. Denn sie wollten sich mit der ihnen zugedachten Rolle in der Gesellschaft nicht abfinden, sondern forschen und die Welt erkunden.

Die Verhaltensforscherin Jane Goodall ist eines der bekanntesten Mitglieder der "Society of Woman Geographers."

Die Gründung der „Society of Women Geographers“ – Frauen, die keine Grenzen kennen

Auslöser für die Gründung der „Society of Woman Geographers“ war die Tatsache, dass Blair Niles und Marguerite Harrison nicht in den exklusiven „Explorers Club“ aufgenommen wurden. Der 1904 in New York entstandene Privatclub hat es sich zum Ziel gemacht, die wissenschaftliche Erforschung unseres Planeten zu unterstützen. Er bestand damals ausschließlich aus männlichen Mitgliedern. Einige der berühmtesten Mitglieder des Clubs sind beispielsweise Roald Amundsen, Edmund Hillary und Neil Armstrong. Der Autorin Niles und der Reporterin Harrison wurde die Aufnahme verwehrt. Und das, obwohl beide schon viel gereist und sehr gebildet waren. Die beiden Frauen, die ohnehin der Benachteiligung des weiblichen Geschlechts überdrüssig waren, entschlossen sich kurzerhand, einen eigenen Club zu gründen. Gemeinsam mit der Autorin Gertrude Shelby und der Asien-Expertin Gertrude Emerson Sen riefen sie 1925 die „Society of Woman Geographers“ ins Leben.

Der Begriff „Geographers“ (deutsch: Geographinnen) ist jedoch nicht im engsten Wortsinn zu verstehen, sondern eher mit „Entdeckerinnen“ zu übersetzen. Denn die Gründerinnen hießen von Anfang an nicht nur Naturwissenschaftlerinnen willkommen. Als Mitglieder begrüßten sie Frauen weltweit, die sich durch besondere Leistungen und Errungenschaften hervorgetan hatten. Daher rührt auch der Slogan des Clubs „For Woman Who Know No Boundaries“ (deutsch: „Für Frauen, die keine Grenzen kennen“). Er ist auch für die große Diversität unter den Mitgliedern bezeichnend. Denn von Anfang an gehörten Frauen verschiedener Nationalität, Sexualität und Wissenschaftsdisziplinen dem Club an. Es schien also schon damals zu gelten, was auch heute noch vielfach vermutet wird: Reisen erweitert den Horizont, baut Vorurteile ab und vermittelt Toleranz.

Die Mitglieder der „Society of Women Geographers“ – Vorbilder für Entdeckerinnen von heute

Die „Society of Women Geographers“ zählt heute etwa 500 Mitglieder weltweit. In den fast 100 Jahren seit ihrer Gründung konnte sie viele weltberühmte Frauen in ihren Reihen begrüßen. Die bekanntesten waren wohl die First Lady Eleanor Roosevelt, die Verhaltensforscherin Jane Goodall und die Ethnologin Margaret Mead. Auch die Pilotin Amelia Earhart erlangte große Berühmtheit. Sie überquerte als erste weibliche Passagierin an Bord eines Flugzeugs 1928 nonstop den Atlantik. Vier Jahre später wiederholte sie selbiges sogar im Alleinflug. Die Flugpionierin gilt seit 1937 als verschollen. Bei einem Flug über den Pazifik riss plötzlich der Funkkontakt zu ihrem Flieger. Die erste Vorsitzende des Clubs war Harriet Chalmers Adams, die als Journalistin und Fotografin Expeditionen in Südamerika, Asien und Ozeanien unternommen hatte.

Die "Society of Woman Geographers" hat auch Einfluss auf die Arbeit von Wissenschaftlerinnen heutzutage.

Die „Society of Women Geographers“ heute – Aktuell wie eh und je

Viele mögen sich nun fragen, ob ein solcher „Frauenclub“ denn in der heutigen Zeit noch nötig ist. Eine Zeit, in der es in Deutschland eine weibliche Kanzlerin gibt, Frauen mit Nobelpreisen für ihre wissenschaftlichen Leistungen ausgezeichnet werden, die Welt bereisen und sogar ins Weltall fliegen. Doch die „Society of Women Geographers“ hat nichts an Aktualität und Wichtigkeit eingebüßt. Dem exklusiven Club, in den man nur als Mitglied gewählt werden kann, gehören heute Frauen aus der ganzen Welt an. Die Society veranstaltet Konferenzen und verleiht Auszeichnungen für besondere Verdienste in Kunst, Wissenschaft sowie Gesellschaft. Und sie vergibt Stipendien an besonders förderungswürdige Wissenschaftlerinnen und internationale Projekte. Dabei ist sie ihrem Slogan stets treu geblieben. Dennn sie unterstützt nicht nur Naturwissenschaftlerinnen, sondern auch die internationale Forschung in anderen Disziplinen. Dazu zählen auch gesellschaftlich relevante Bereiche wie Rassismus, soziale Ungerechtigkeit und Umweltschutz.

Ohne den unzähmbaren Willen der Mitglieder, die Welt zu erkunden und zu verstehen, wäre heute vielleicht einiges anders. Vielleicht wäre es nicht so selbstverständlich für Frauen, sich auf weite Reisen rund um den Globus zu begeben. So sind die Mitglieder der „Society of Women Geographers“ auch heute noch Vorbilder für viele Menschen weltweit. Im Namen aller Reisebegeisterten mit unstillbarem Fernweh und riesiger Abenteuerlust bleibt da nur zu sagen: Zum Glück gibt es diesen Club der Frauen, die keine Grenzen kennen.

Autorin: Kim Vattersen

Letzte Aktualisierung: 29. April 2021