Beinahe schüchtern ducken sich die Häuser unter der Gewalt der Natur, die sich in den ehrfurchtsvollen südjapanischen Alpen offenbart. Das Wasser des Hayakawa Flusses springt geräuschvoll über das Gestein im Flussbett, als wolle es der 1000-Seelen-Kleinstadt mehr Leben einhauchen. Auf den Straßen im japanischen Hayakawa erwartet man viel; atemberaubende Aussichten, Abgeschiedenheit, Natur pur und Ursprünglichkeit. Aber so viel Ursprünglichkeit dann doch wieder nicht. Genau hier, in Japan, steht das älteste Hotel der Welt.
Kaum zu glauben: Schon seit dem 8. Jahrhundert heißt das japanische Hotel Nishiyama Onsen Keiunkan nahe Tokio, 140 Kilometer entfernt vom heiligen Berg Fuji, seine Gäste willkommen. Stolz kann das beeindruckende Gasthaus auf eine über 1300 Jahre alte Geschichte zurückblicken. Doch es wäre nicht das Nishiyama Onsen Keiunkan, bliebe das die einzige Überraschung. Das 5-Sterne-Spa-Hotel wird darüber hinaus seit 52 Generationen von derselben Familie betreut und geführt. Dass das Hotel 2011 in das Guinness-Rekordbuch aufgenommen wurde, wundert vor diesem Hintergrund wohl niemanden mehr.

Bereits von den Samurai-Kriegern umgarnte heiße Quellen
Vor dem Schauplatz des Akaishi-Gebirges bieten die südjapanischen Alpen dem ältesten Hotel der Welt seine wohlverdiente Kulisse. Den Blick auf die malerischen Berge und tiefen Schluchten genossen schon die Samurai-Krieger. Die lockerten in den mineralstoffreichen heißen Quellen, für die das Gasthaus bis heute bekannt ist, ihre kriegsmüden Muskeln. Die Möglichkeit, in heißen Quellen auf die umliegende Landschaft zu blicken, ist so alt wie das Gasthaus selbst. So hat das Nishiyama Onsen Keiunkan nicht nur bezüglich seiner langen Lebenszeit Glück – auch angesichts der Lage hat die führende Familie ein heißes Los gezogen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes! Die vulkanischen Aktivitäten der Umgebung erhitzen das Wasser umliegend des Hotels unterirdisch. In den Onsen, wie die heißen Quellen in Japan genannt werden, steigt das heiße, mit Mineralien versetzte Wasser, aus der Tiefe an die Oberfläche. Bis zu 52 Grad werden die sechs verschiedenen Onsen des Nishiyama Onsen Keiunkan heiß. Die Gäste des weltweit ältesten Hotels haben die freie Wahl: Möchten sie draußen im Freien mit Blick auf die gewaltige Natur von dem gesunden Thermalwasser liebkost werden? Oder wollen sie, geschützt von den über 1300 Jahre alten vier Wänden, vom heißen Wasser verwöhnt werden?
Kultur und Geschichte im 1300 Jahre alten Gasthaus
Neben der Geschichte dieses Hotels hat auch dessen Einrichtung Zeug dazu, ins Staunen zu versetzen. Modernisierungsarbeiten im Jahr 2005 sorgten dafür, dass jedes einzelne der 37 Zimmer ein eigenes Thermalbad besitzt. Zwar wurde das Gebäude über die Jahrhunderte in ein Luxushotel verwandelt, doch gerade traditionelle Akzente sind es, die Aufmerksamkeit erregen. Sie lassen die stolze Geschichte dieses Gebäudes vor Besucheraugen lebendig werden. So wie der Bodenbelag aus Tatami-Matten, die mit Papier bespannten Schiebetüren, auch Fusuma genannt, die klassische Kunst, die dem Hotel seinen ganz eigenen Charme verleiht, oder die Tatsache, dass auf dem Boden auf Futons geschlafen wird. Dass das älteste Gasthaus der Welt neben Geschichte auch viel Wert auf Kultur und Kulinarik legt, entgeht niemandem, der durch die über 1300 Jahre alten Hotelpforten schreitet. Im hoteleigenen Restaurant genießen Urlauber hochwertiges Koshu-Rindfleisch aus der Region und Karaoke lässt japanisches Flair in die historischen vier Wände fließen.

Das älteste Hotel der Welt im Einklang mit der Natur
Dass das älteste Hotel der Welt vom Zahn der Zeit so lange verschont blieb, ist möglicherweise gar der traditionellen Architektur zu verdanken. Herkömmlicherweise stehen japanische Gebäude aus Gründen der Erdbebensicherheit auf Holzpfählen. Bei der für Japan typischen hohen Luftfeuchtigkeit, den häufigen Taifunen und Erdbeben setzen Erbauer auch ansonsten zunehmend auf Holz. Das ist nicht nur leicht erhältlich und flexibler, sondern sorgt auch für eine angemessene Belüftung. Das Holz und die großen Schiebetüren gewährleisten eine hohe Luftzirkulation im Nishiyama Onsen Keiunkan. Die Kombination natürlicher Materialien mit dem typisch minimalistischen japanischen Architekturstil verwebt Natur und Nachhaltigkeit miteinander. So entsteht eine beruhigende Atmosphäre. In der traditionellen Architektur herrscht ein tiefer Respekt vor der Natur. Das älteste Hotel der Welt stellt da keine Ausnahme dar. Der Bau und die anschließenden Renovierungen des Nishiyama Onsen Keiunkan zielten stets darauf ab, Gleichgewicht und Harmonie zwischen Mensch und Natur herzustellen.
Das beste Beispiel für die Verbundenheit des Hotels mit der natürlichen Umgebung bleiben jedoch die heißen Quellen. Die Onsen schaffen weitaus mehr als bloße Entspannung. Badende in den Mineralquellen dürfen eine Reihe von gesundheitlichen Vorteilen erwarten. Das mineralisierte Wasser hat hautreinigende Eigenschaften, bekämpft schädliche Keime und stärkt das Immunsystem. Es regt außerdem die Blutzirkulation an und kann sogar Schmerzen minimieren. Ganze 1000 Liter heilendes Wasser fließen im Nishiyama Onsen Keiunkan pro Minute in die Bäder. Ob die heißen Quellen im Hinblick auf die lange Geschichte des ältesten Hotels der Welt wohl ihre heilenden Finger im Spiel hatten?
Autorin: Berit Sellmann
Letzte Aktualisierung: 27. Mai 2021